Der Frühling erwacht


Ein langersehnter, herrlich schöner Frühlingstag nach Wochen mit vielen tristen Regentagen. Ich gehe in meinem Garten umher, um Freude zu sammeln. Noch sind die Bäume unbelaubt. Der immergrüne Efeu erinnert mich daran, daß die Natur nicht schläft, sondern nur schlummert. Ganz verstohlen hat sich Ende Januar mal hier und dort ein vorwitziges Schneeglöckchen gezeigt. Tag um Tag verschwindet die Sonne jetzt ein wenig später hinter den Baumkronen der Robinien. Mit zunehmendem Licht regiert das Prinzip Hoffnung die Erde – und den gärtnernden Menschen in ganz besonderem Maße.
Frühling – oft ist es nur ein einziges tiefes Einatmen und man weiß, das muß der Frühling sein. So duftet nur er allein – ein Wunder, daß sich jedes Jahr, für jeden von uns aufs Neue erfüllt. Die ersten Blumen des Jahres beeindrucken uns am nachhaltigsten. Wenn der Garten noch kahl ist, wird jede kleine Blüte so bewundert, wie sie es verdient. Dann ist Zeit genug, um die Blüten zu schauen, die Feinheiten zu studieren und sie einem Kunstwerk gleich zu bestaunen.
Wie zierlich sind die Schneeglöckchen, Krokusse, Winterlinge, Iris, Anemonen, Adonisröschen und die entzückenden Leberblümchen. Der Liste wären noch viele hinzuzufügen. Sie alle tragen dazu bei, mißmutige Wintergedanken zu vertreiben. Der große Reiz der Frühlingsboten liegt nicht allein in ihrer frühen Blütezeit, sondern auch in ihrer Vermehrungs- und Ausbreitungskraft. Vor ein paar Jahren habe ich einige Karnevalsprimeln geschenkt bekommen, kleine cyclamenfarbene Juwele. Seitdem zigeunern sie allerliebst im Garten herum, obwohl ich selbst schon viele weitergegeben habe. Im April letzten Jahres habe ich dicke Tuffs von Schneeglöckchen zwischen Bergenien gepflanzt.
Die im Winter leuchtendrot gefärbten Blätter der Sorte „Abendglut“ und Bergenia purpurea sehen herrlich aus zu dem blaugrünen Laub mit dem strahlenden Weiß. Aber auch die gefleckten Blätter des Lungenkrautes mit seinen kleinen blau und rosafarbenen Blüten scheinen sich gut mit den Schneeglöckchen zu vertragen. Die besten Schneeglöckchenzwiebeln liefert nicht der Samenhändler, sondern kommen von Gartenfreunden. Wenn das Laub noch grün ist und die kleinen eiförmigen Früchte sich schwer zu Boden neigen, meist ist das im April soweit, dann ist der rechte Moment zu einem Bittgang für einen freundschaftlichen Tausch.
Doch Geduld ist eine Tugend, die jeder Gärtner lernen muß. Iris reticulata, die Netz-Iris, blüht prächtig zwischen Gesteinspartien in strahlendem königlichen Blau. Ihre Heimat ist der Kaukasus. Fröhlich glänzend strahlt sie in den nicht immer sich heiter zeigenden Himmel. Woher der Name Netz-Iris? Es sind die Zwiebelchen, die einen kleinen Fasermantel tragen, wie ein klitzekleines Fischernetz.
Alle, von denen hier die Rede war, sind in einem großen Bogen um das Mittelmeer bis hin zum Kaukasus heimisch. Eigentlich schwer vorstellbar, daß noch vor 200 Jahren der Frühling bei uns ohne sie auskommen mußte. Wir leben in einer Zeit des Überflusses, auch in unseren Gärten.