„Stadtpflänzchen“ soll noch wachsen

So geht es: Samen ausleihen, ernten und neues Saatgut zurückbringen
Von Gerhard Walser Mi, 30. März 2022 um 09:26 Uhr
(BZ)

Die Mütter und Väter der Saatgut-Bibliothek freuen sich über das „Stadtpflänzchen“, das die Bücherei im Schlosserhaus bereichert. Foto: Gerhard Walser

Im Schlosserhaus in Emmendingen hat die Saatgut-Bibliothek Einzug gehalten. Wer nun selbst aussäen will, holt sich Saatgut mit dem versprechen, später neue Samen zurückzubringen.

Die selbstgezogenen Samen sind eingetütet, der Frühling kann kommen. Wer der Natur, der Umwelt und seinem heimischen Garten und Speisezettel etwas Gutes tun möchte, der kann jetzt bei der Saatgut-Bibliothek im Schlosserhaus vorbeischauen und sich kostenlos bedienen. Rund 16 Sorten Gemüse und Kräuter, sechs schmackhafte Tomaten und – das ist Rekord – allein 24 Chillisämlinge werden in der jetzt eröffneten Sammlung in der Stadtbibliothek angeboten.

Das Kind hat mehrere Mütter und Väter und auch schon einen passenden Namen: „Stadtpflänzchen“ soll es heißen und das von Louis Helmle entworfene Logo zeigt eine keimende Samenkapsel mit dem Emmendinger Stadttor. Die Initiative zur Erhaltung alter Gemüse- und Nutzpflanzensorten geht auf einen Fraktionsantrag der SPD und das Projekt „Essbare Stadt“ von Ute Haarer-Jenne und Mona Speth zurück, wie Oberbürgermeister Stefan Schlatterer bei der Eröffnung am Dienstag hervorhob.
Stadt reagiert auf Nachfrage

Gleichzeitig habe die Stadt auf die starke Resonanz des ersten Saatgut-Regionalmarkts vor der Pandemie reagiert, der baldmöglichst wieder stattfinden soll. „Das alles haben wir in der Bibliothek zusammengeführt“, so der OB, der den Benutzern empfahl, „Saatgut nicht nur auszuleihen, sondern es auch nach der Ernte wieder zurückzubringen – sonst funktioniert das nicht“.

„Ein Umschlagplatz für Saatgut“ soll entstehen, wünscht sich Mitinitiator und SPD-Stadtrat Hanspeter Hauke. Jeden zweiten Freitag im Monat (das nächste Mal am 8. April) will sich die Gruppe mit Interessierten von 17 bis 18 Uhr im Schlosserzimmer der Stadtbibliothek treffen, um sich auszutauschen. Dort soll es Tipps zur Pflege und Samengewinnung geben – „mit Saatgut, das sich bewährt hat“, wie Maria Steinmetz-Hesselbach als Sprecherin der Initiative betont. Denn samenfeste Sorten aus der Region haben einen „klaren Heimvorteil“, bestätigt Wolfgang Lütker von der Bio-Gärtnerei Witt. „Saatgut ist Kulturgut“, sagt er und es sei wichtig, dieses zu erhalten, „um sich nicht abhängig zu machen von den Saatgutkonzernen“. Die Erhaltung der Artenvielfalt sei auch eine „Geschmacksfrage“, findet Steinmetz-Hesselbach und schwärmt von einer „Aroma-Explosion“ bei alten Tomatensorten.

Saatgut-Bibliothek ist nur ein Puzzlestein

Dass inzwischen rund 75 Prozent alter Gemüsesorten ausgestorben sind, bedauert nicht nur Ute Haarer-Jenne (Grüne). Kulinarische Schätze wie das „Dusslinger Beckenschürzle“, eine robuste und schmackhafte Buschbohnensorte, gelte es zu bewahren – auch im „Genussgarten“ der Initiative im Vollrath’schen Park. Denn die Saatgut-Bibliothek ist nur ein „Puzzelstein“ in einem Emmendinger Gesamtprojekt zum Austausch rund ums Gärtnern, „weg vom reinen Konsum hin zum eigenen Produzieren“, sagt Mona Speth, Stadträtin der Fraktion.

Vom Enthusiasmus der Akteure anstecken lassen hat sich auch Christiane Grund, Leiterin der Stadtbibliothek. „Das ist eine ideale Ergänzung zu unserem Lektüreangebot“, findet sie und verweist auf eigens dafür angeschaffte Fachliteratur, die nahe beim Samengut-Schrank steht und mit dem Logo gekennzeichnet ist.

Das vom Betriebshof gefertigte Regal neben dem Zeitungscafé im Erdgeschoss ist die zentrale Anlaufstelle für die Nutzer. Hier finden sie die beschrifteten Samentütchen, die sie kostenlos und ohne Bibliotheksausweis ausleihen und dann im eigenen Garten oder auf dem Balkon aussäen und später die Ernte genießen können. Ein kleiner Teil des ausgereiften und neu gewonnenen Saatguts soll dann wieder in die Bücherei zurückkommen – „möglichst trocken und beschriftet, wir können keine DNA-Analyse machen“, so Hanspeter Hauke. Hauke hat eine kühne Vision, wie sich das Stadtpflänzchen weiterentwickeln könnte. Zusammen mit Schulen und Kitas könnte dort bald selbst Gemüse produziert und für die Schulkantinen verwendet werden. „Das würde den Bezug der Kinder zu natürlichen Lebensmitteln fördern“.